Wie ein agiles Organisationsmodell helfen kann, gesellschaftlichen Wandel zu verstehen – und zu gestalten
Wenn es um gesellschaftliche Veränderung geht, landen wir schnell in einem Entweder-oder-Denken: Entweder ist „die Politik“ schuld, oder „die Menschen“ wollen es halt nicht besser. Doch gesellschaftlicher Wandel ist komplexer – und lässt sich besser durchdringen, wenn wir ihn auf mehreren Ebenen betrachten. Genau hier hilft ein Denkmodell, das ursprünglich aus der agilen Organisationswelt stammt: die Flight Levels.
Was sind Flight Levels?
Das Modell der Flight Levels unterscheidet zwischen drei Ebenen, auf denen Veränderung stattfindet:
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Flight Level 1: Lokale Ausführung – konkrete Handlungen einzelner Personen oder Teams
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Flight Level 2: Koordination – wie Aktivitäten aufeinander abgestimmt werden
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Flight Level 3: Strategische Steuerung – die großen Linien, Narrative und Rahmenbedingungen
Ursprünglich gedacht für Organisationen, lässt sich dieses Modell erstaunlich gut auf gesellschaftliche Prozesse übertragen.

Flight Level 1 – Individuelles Verhalten & Alltag
Auf dieser Ebene findet das statt, was wir selbst direkt beeinflussen können: Wie wir einkaufen, wie wir mit anderen reden, was wir posten, ob wir wählen gehen.
Beispiele:
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Jemand entscheidet sich, weniger Fleisch zu essen.
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Eine Familie fährt öfter mit dem Rad.
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Eine Schülerin widerspricht einem rassistischen Spruch.
Diese Handlungen sind wichtig – aber oft frustrierend, weil sie wie Tropfen auf dem heißen Stein wirken. Genau deshalb braucht es die nächste Ebene.
Flight Level 2 – Zivilgesellschaft & kollektive Dynamik
Hier wird aus individuellem Handeln koordinierte Bewegung. Es geht um Initiativen, NGOs, Nachbarschaftsprojekte, Netzwerke. Auf dieser Ebene wird Wirkung gebündelt, verstärkt, verstetigt.
Beispiele:
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Fridays for Future organisiert einen bundesweiten Klimastreik.
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Eine Bürgerinitiative startet ein Volksbegehren.
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Verschiedene Organisationen koordinieren ihre Medienarbeit zu einem Thema.
Diese Ebene verbindet Bottom-up-Energie mit strategischer Wirksamkeit – sie ist das Rückgrat vieler sozialer Bewegungen.
Flight Level 3 – Politik, Wirtschaft & Narrative
Hier werden die Rahmenbedingungen gesetzt: Gesetze, finanzielle Anreize, Bildungspläne, mediale Deutungsmuster.
Beispiele:
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Eine Regierung verabschiedet ein Klimagesetz.
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Medien setzen einen neuen Schwerpunkt (z. B. auf soziale Gerechtigkeit).
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Ein Konzern entscheidet sich, Lieferketten transparenter zu machen.
Diese Ebene ist oft träge – aber extrem einflussreich. Ohne Veränderungen auf dieser Ebene bleiben viele Engagements auf FL1 und FL2 begrenzt in ihrer Wirkung.
Warum der Flow zwischen den Ebenen entscheidend ist
Das Besondere an den Flight Levels ist, dass es nicht um ein „besser oder schlechter“ geht – sondern um das Zusammenspiel der Ebenen. Alle drei sind notwendig. Entscheidend ist der Flow zwischen ihnen:
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Wie können persönliche Erfahrungen (FL1) in mediale Geschichten (FL3) übersetzt werden?
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Wie können Initiativen (FL2) politischen Druck (FL3) erzeugen – und umgekehrt von Rahmenbedingungen profitieren?
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Wie können Menschen auf FL1 merken, dass ihr Handeln Teil von etwas Größerem ist?
Was bedeutet das für Aufklärung, Aktivismus und politischen Dialog?
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Wir können gezielter fragen: Auf welcher Ebene findet mein Engagement statt? Und was braucht es auf den anderen Ebenen?
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Wir können Brücken bauen: z. B. Storytelling nutzen, um FL1 mit FL3 zu verbinden.
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Wir können besser verstehen, warum manche Aktionen so schnell ins Leere laufen – und wo sie Unterstützung bräuchten.
Fazit
Gesellschaftlicher Wandel ist kein Monolith. Er passiert auf vielen Ebenen gleichzeitig. Das Denken in Flight Levels hilft uns, diese Ebenen zu erkennen, zu verbinden – und so wirkungsvoller zu handeln.
Es hilft uns, frustriertes „Warum passiert denn nichts?!“ zu übersetzen in ein konstruktives: „Was fehlt gerade im Flow – und wo kann ich ansetzen?“